Der Beweiswert eines ärztlichen Attests kann erschüttert sein, wenn man sich nach einer Kündigung am Freitag am darauffolgenden Montag krankmeldet. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) führt mit seinem Urteil vom 18.09.2024 (5 AZR 29/24) seine Rechtsprechung zum Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fort.
Klar war bislang bereits das Folgende: Wer sich im Anschluss an eine Kündigung krankmeldet oder das ärztliche Attest passgenau bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einreicht, dessen „gelber Schein“ hat nur noch einen schwachen Beweiswert (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23). Dies gilt nun aber auch, wenn die ärztliche Bescheinigung erst nach dem Wochenende eingeholt wird.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer hatte nach Dienstschluss am Freitagnachmittag selbst gekündigt und verabschiedete sich ins Wochenende. Am darauffolgenden Montag gab er seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab und war aufgrund von Folgebescheinigungen bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr im Betrieb. Nachdem der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verweigerte, kam es zum Gerichtsverfahren.
Die Lohnfortzahlung erhält der Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu 6 Wochen. Voraussetzung ist, dass er ohne sein Verschulden infolge Krankheit arbeitsunfähig und an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Der Arbeitnehmer trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. In der Regel wird der Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt.
Im Falle einer Kündigung kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des Einzelfalls Indizien vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. Nach der ständigen Rechtsprechung kann insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ernsthafte Zweifel begründen (sog. passgenaue Arbeitsunfähigkeit). Die Zweifel resultieren daraus, dass der Arbeitnehmer genau zu dem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden wird, und die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist andauert. Unerheblich ist, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden und ob es sich um eine arbeitnehmer- oder arbeitgeberseitige Kündigung handelt.
Nach der Entscheidung des BAG vom 18.09.2024 ist es für die Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund zeitlicher Koinzidenz nicht erforderlich, dass Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zeitgleich mit der Kündigung übergibt. Es genügt, wenn zwischen der Übergabe der Kündigung und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht.
Einen solchen zeitlichen Zusammenhang hat das BAG im hier dargestellten Fall aufgrund des Umstandes angenommen, dass der Arbeitnehmer zwischen Kündigung und Übergabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen des dienstfreien Wochenendes ohnehin keine Arbeitsleistung zu erbringen hatte.
Ist der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen solchen Sachverhalt erschüttern, fällt die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitnehmer zurück: Der Arbeitnehmer muss dann konkrete Tatsachen darlegen und im Falle des Bestreitens beweisen, die den Schluss auf eine (tatsächlich) bestehende Erkrankung zulassen. Für den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum ist dann substantiiert vorzutragen, z.B. welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben, welche Medikamente verordnet wurden oder weitere ärztliche Befundberichte beizubringen, etc.